RBW21
THE WAY OF THE LEMMING
1992    RBW 21
Kunstradio

Eine Radio-Collage über den Krieg und seinen Schrecken
Ebenso wie im RBW-Beitrag "Welt bei Tag", der Anfang vorigen Jahres im Kunstradio zu hören war, ist das Grundthema der beiden Autoren auch diesmal der Krieg, die menschliche Aggression und deren Folgen.

Das in vier Teile gegliederte Hörstück handelt von der Jugoslawien-Krise, von den bewaffneten Konflikten und dem Elend in unserem Nachbarland, aber die Autoren zeigen den Hörern durch ihre Art der Bearbeitung, daß es sich ebensogut um eine der anderen zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen mit ihren grausamen Konsequenzen handeln könnte: letztendlich bleiben die Betroffenen mit ihrem Leid, ihrem blinden Haß alleine, weil - wie Gue Schmidt sagt - das subjektive Leiden von Außenstehenden nicht mehr erfaßt werden könne.

Im ersten Teil des Hölstücks sind vorwiegend O-Töne, hauptsächlich Radio-Sendungen entnommen, zu hören: Korrespondenten-Berichte, Interviews mit Politikeria und dem "Mann von der Straße". Aussagen werden gegenübergestellt, so daß die Widersprüche klar hervortreten. Entfremdungseffekte in der Bearbeitung des O-Ton Rohmaterials, sowie synthetisch generierte Klänge akzentuieren die akustische Darstellung des Konfliktverhaltens und tragen dazu bei, daß auch Sprachunkundige das Geschehen mitverfolgen können ( die O-Töne sind z.T. in serbischer und kroatischer Sprache).

Im zweiten Teil efolgt die musikalische Darstellung eines Stimmungsbildes, das'sich aus der Dynamik des vorangegangenen O-Ton-Parts entwickelt: es kommt zur Eskalation der Gewalt. Zwar verwendet RBW auch in diesem Teil O-Töne aus Korrespondenten berichten, aber in so fragmentierter Form, daß nicht mehr der ginngehalt, sondern nur mehr die Stimmungslage als solche akustisch erfaßt werden kann: die rasche Ausbreitung und Intensivierung des Konflikts, der Aggressionen auf beiden Seiten.

Als akustisches Synonym für diese Situation ist ein Wassertropfen zu hören: er symbolisiert den Widerspruch zwischen der relativen Bedeutungslosigkeit des Einzelnen im,Geschehen (gleich einem Wassertropfen) einerseits und der Größe seiner subjektiven Wahr nehmung des Leidens andereseite. Er steht aber auch für die "Relativität" der Wahrheit: die eine Partei kann das eigene Unrecht und das Leid der anderen nicht erfassen und umgekehrt. "Das erste was stirbt, ist die Wahrheit", sagt jemand über diesen Krieg. Denn sowohl die,die drinnen stehen, als auch die.Außen stehenden erweisen sich als unfähig, sie zu realisieren. Im dritten Teil sind die Informationen, die O-Töne bereits derart fragmentiert aufbereitet, daß über die akustisch vermittelte Stimmungslage keine gedanklichen Interpretationen mehr möglich sind: der Zustand der Gewalt, des Krieges kann nur mehr durch das Unterbewußtsein aufgenommen werden. Im vierten und letzten Teil ist ein Rauschen zu hören: der Wind, der über eine verlassene Landschaft streicht. Das Land und seine Dörfer und Städte sind von der Zerstörung gezeichnet: aus-und-ab gebrannt, zerbombt und verwüstet beibt eine kahle - stille Landschaft zurück, eine große Einsamkeit.

15 Sekunden lang ist wieder der Wassertropfen zu hören, wie der ständige Fluß der Zeit - oder aber wie das Herzklopfen jener Frau, die überlebt hat und nun inmitten dieser Zerstörung zurückbleibt: "Es war ein furchtbarer Augenblick. Rings um mich war alles totenstill, ich hörte nur das laute Pochen meines Herzens ..."